Seite wählen

Ich muss Ihnen heute etwas gestehen. Aber zuvor möchte ich, dass Sie sich selbst etwas eingestehen… Denken Sie bitte einmal nach: In den vergangenen 12 Monaten – haben Sie da ein bisschen/ etwas mehr/ ganz viel Stress erlebt? Na, was sagen Sie? Ich kann von mir behaupten, dass ich Stress erlebt habe, z. T. auch nicht wenig. Aber das ist nicht meine Beichte. Die lautet anders…

Wer ein wenig auf meinen Webseiten gestöbert hat, wer meine Leistung kennt, der weiß, dass ich Menschen auf ihrem Weg zu mehr innerer Balance und Lebensqualität begleite – sodass sie langfristig insgesamt gesünder sind. Einen Weg aus dem Stress zu finden, ist häufig das Motto. Aber ich fürchte, dass etwas, was ich bisher betont habe, gar nicht so zielführend war. Und das hat mit dem Thema Stress zu tun. Immer wieder habe ich gesagt: „Stress macht dich krank. Stress steigert die Gefahr für ernste Erkrankungen psychischer und auch organischer Art, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Grundsätzlich habe ich Stress zum Feind Nr. 1 schlechthin erklärt.

Aber ich habe meine Einstellung gegenüber Stress verändert…

Und mit diesem Artikel lade ich Sie ein, Ihre Einstellung gegenüber Stress zu überdenken. Lassen Sie mich kurz eine Studie umreißen, die dazu führte, dass ich meine Einstellung gegenüber Stress verändert habe. Diese Studie (Wisconsin University, 2012, Keller, Litzelman, Wisk, et al., School of Medicine and Public Health) begleitete über acht Jahre 30.000 Probanden in den USA. Eingangs wurden diese Probanden gefragt: „Wie viele stressige Erlebnisse hatten Sie im letzten Jahr?“ Darüber hinaus wurden die Teilnehmer gefragt: „Glauben Sie, dass Stress gesundheitsgefährdend ist?“

Anschließend wurde über acht Jahre verfolgt, wer in dieser Zeit verstarb. Und nun kommt´s…

Die schlechte Nachricht zuerst:

Die Menschen, die viel Stress erlebt hatten in den vergangenen zwölf Monaten, hatten ein um 43 % erhöhtes Risiko zu sterben. Das ist nicht schön und dennoch nachvollziehbar, oder? ABER: Diese Aussage stimmte nur für die Probanden, die auch gesagt hatten, dass sie davon überzeugt sind, dass Stress gesundheitsschädlich ist. Die Menschen, die viel Stress erlebt hatten, aber nicht davon überzeugt waren, dass Stress gesundheitsgefährdend sei, hatten kein erhöhtes Sterberisiko. Tatsächlich hatten diese Menschen das geringste Risiko aller Probanden – darin eingeschlossen auch die, die von sich gesagt hatten, dass sie wenig Stress hatten. Hoppla!

Die Macht der inneren Haltung

Mit Blick auf alle Todesursachen und die Gesamtbevölkerung schätzten die Wissenschaftler, dass insgesamt über die acht Jahre 182.000 Personen aufgrund ihrer inneren negativen Haltung gegenüber Stress verstorben sind. Und ich wiederhole mich, um es zu betonen: nicht direkt durch Stress, sondern durch die innere negative Haltung. Das sind pro Jahr 20.000 Menschen! Wenn diese Vermutung richtig ist, würde es bestätigen, dass die Einstellung gegenüber Stress gesundheitsschädlich ist. Als Todesursache würde „die Haltung gegenüber Stress“ damit einige Krankheiten weit hinter sich lassen.

Ist das nicht erstaunlich? Vielleicht können Sie jetzt verstehen, warum diese Studie für mich so brisant war und ist. Da habe ich viel Zeit damit zugebracht, den Menschen zu erklären, dass Stress an sich gesundheitsschädlich ist! Die Studie hat mich dies nun hinterfragen lassen. Kann mein Denken, meine innere Haltung zu Stress mich wohl möglich stabiler, resilienter und wohlmöglich gesünder machen? Die Wissenschaft sagt: „Ja! Wenn du deine innere Haltung gegenüber stressigen Situationen änderst, änderst du auch die vegetativen Abläufe im Körper.“ Im besten Fall wird das autonome Stress-Reaktionsprogramm gar nicht erst aktiviert!

Lassen Sie uns schauen, wie das funktioniert:

Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem Stresstest teil. Teil 1 des Tests bedeutet, dass Sie – auf einer Bühne vor einer Kamera stehend – eine 15-minütige Stegreifrede zu einem unangenehmen, persönlichen Thema halten müssen und das Fachpublikum, zusammengesetzt aus Psychologen und Psychiatern, zeigt sich Ihnen gegenüber wenig wertschätzend und freundlich. Wer wäre durch solch einen Start nicht entmutigt? Doch es kommt noch dicker. Teil 2 des Tests ist ein Mathetest unter Zeitdruck. Allein wenn man sich soll einen Testaufbau vorstellt, können sich schon rein durch die Vorstellung kleine Stress-Symptome zeigen. Wer diesen Test mitmacht, erlebt definitiv Stress: schneller Puls, schnellere Atmung, Schweißausbrüche etc.

Normalerweise interpretieren wir diese physischen Symptome als Angst zu versagen und hinterfragen, ob wir evtl. zu wenig mit dem Druck umgehen können. Aber wie wäre es stattdessen, die Anzeichen als eine Art körperliche Energetisierung zu verstehen? Wie wäre es, diese spürbaren Veränderungen als Vorbereitung zu verstehen, um mit der Herausforderung in der Situation besser umgehen zu können?

Das ist exakt das, was anderen Testteilnehmern gesagt wurde im Rahmen einer Studie zu Stress an der Harvard Universität (Jamieson, Nock, Mendes, 2012, Harvard University Department of Psychology). Bevor sie den oben beschriebenen Stresstest absolvierten, wurden sie aufgefordert, ihre Einstellung zu Stress zu überdenken, und zwar so, dass die Stressantwort des Körpers hilfreich ist:

  • schneller Atem bedeutet besserer Gasaustausch
  • das stark schlagende Herz bereitet auf Aktivität vor
  • je schneller das Herz schlägt, umso mehr Sauerstoff kann ins Gehirn gelangen

Und die Testteilnehmer, die die Idee annehmen konnten, dass die körperliche Stressreaktion hilfreich ist, um ins Handeln zu kommen, waren im Test weniger gestresst, weniger ängstlich und deutlich stärker von sich selbst überzeugt.

Die veränderte Stressantwort

Aber das für mich spannendste Ergebnis war, dass die körperliche Stressantwort sich bei diesen Menschen veränderte: Die typische Stressantwort bedeutet, dass der Herzschlag steigt und die Adern sich automatisch verengen. Verengte Gefäße – das ist nicht gesund, vor allem nicht, wenn es zum Dauerzustand wird. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in diversen Fällen die Folge.

Aber als die Probanden in der Studie geglaubt haben, dass die körperliche Stressantwort hilfreich ist, verengten sich interessanterweise die Adern bei ihnen nicht – und das, obwohl das Herz deutlich schneller schlug. Der körperliche Zustand dieser Probanden war vergleichbar mit dem Zustand der Freude. Mir persönlich gefällt hier auch das Bild eines Athleten, der in der Wettkampfsituation kurz vor seiner sportlichen Leistungserbringung steht. Da ist Kampfeswille, Selbstbewusstsein, der Wunsch zu Siegen, Freude über den bevorstehenden Wettkampf.

Wenn wir uns die unzähligen Studien zu Stress vor Augen führen, ist dies womöglich eine entscheidende Veränderung. Es ist unser Denken, es ist unsere Einstellung zu Stress – die ausschlaggebend ist. Meine Haltung zu Stress in meiner Arbeit mit gestressten Menschen hat sich verändert. Es kann nicht darum gehen, keinen Stress mehr zu haben. Das wäre gar nicht möglich. Mein Ziel ist es, dass sie anders mit den Herausforderungen des (beruflichen) Alltags umgehen und Stressreaktionen neu verstehen. Ich will, dass sie sich besser fühlen im Stress. Das ist eine völlig natürliche und sinnvolle körperliche Reaktion, die Ihnen hilft ins Handeln zu kommen.

Fazit.

Wenn also das nächste Mal Ihr Herz stressbedingt schneller schlägt, werden Sie sich hoffentlich an diesen Artikel erinnern. Sie können sich dann selbst sagen: „Dies ist mein Körper, der jetzt alles dafür tut, dass ich gut durch diese Situation komme.“ Wenn Sie so gegenüber Stress eingestellt sind, glaubt Ihnen Ihr Körper – die körperliche Stressantwort verändert sich entsprechend günstig.

Und so können wir erkennen, dass der Effekt von Stress auf die Gesundheit nicht pauschal negativ beurteilt werden darf. Ihr Denken und Handeln kann die Wirkung von Stress beeinflussen. Wenn Sie lernen, Ihre körperliche Stressreaktion als hilfreich zu verstehen, kann sich tatsächlich neue Lebensqualität entwickeln. Mit Sicherheit will ich nicht, dass insgesamt mehr Stress in unser Leben Einzug hält, aber die Studienergebnisse lassen uns vielleicht die Sinnhaftigkeit der Stressreaktion besser verstehen, um einen neuen Umgang mit den Herausforderungen des Lebens zu üben.

 

Mal wieder ganz schön stressig?