In diesem Beitrag will ich dir erklären, was es bedeutet, wirklich achtsam zu sein.
Achtsam sein… Manch einer zuckt ehrfürchtig zusammen – und andere fangen an mit den Augen zu rollen. Nicht schon wieder dieses Thema.
Es gibt Menschen, die versuchen sich mit der Tatsache, dass sie Achtsamkeit üben, abzugrenzen oder sogar herauszuheben. Das ist dann so eine Art elitärer Kreis mit Zugangskontrolle im Sinne eines „Hast du heute schon meditiert?“
Und andere sind genervt, denn Achtsamkeit ist „in“ und kaum ein Mensch kann dem Thema medial noch entkommen. In nahezu jeder Zeitung, in jedem Magazin wird das Thema erläutert, analysiert und als Wunderwaffe gegen den Beschleunigungswahn gepriesen.
Aber was ist denn das nun genau?🤔
Was ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit, auch bekannt als „Mindfulness,“ ist die Kunst, im gegenwärtigen Moment zu leben und ihn bewusst wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten oder zu beurteilen. Es geht darum, die Aufmerksamkeit gezielt auf das Hier und Jetzt zu lenken und alle Sinne dabei einzusetzen.
Moderne Definitionen
Heutzutage wird Achtsamkeit oft als die bewusste, nicht wertende Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment definiert. Diese Definition betont die Wichtigkeit der Akzeptanz und Offenheit gegenüber allem, was im Hier und Jetzt geschieht.
Die Geschichte der Achtsamkeit
Die Ursprünge der Achtsamkeit liegen tief in den östlichen spirituellen Traditionen, besonders im Buddhismus. Im Westen hat sie jedoch in den letzten Jahrzehnten an Popularität gewonnen, vor allem durch die Arbeit von Pionieren wie Jon Kabat-Zinn, der das MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction) entwickelte.
Die Zahl der Podcasts, Apps und Bücher zum Thema ist mittlerweile riesig. Darüber hinaus findest du unfassbar viele Instagram-Accounts, die sich Achtsamkeit auf die Fahnen geschrieben haben. Und drum herum hat sich eine Industrie aufgebaut, die dir die passende Musik, Kleidung, Gebrauchsgegenstände etc. liefert.
Bringt es dich ans Ziel, wenn du all das konsumierst? Wirst du dann achtsam sein?
Achtsam sein ist ein Trend.
Jeder will irgendwie dazu gehören. „Achtsam – das muss man halt jetzt sein.“
Und so kommen viele Menschen in die Vorträge und Schnupperseminare. Das ist grundsätzlich auch vollkommen in Ordnung und richtig so! Denn nur wenn du etwas ausprobierst, hast du die Chance zu erfahren, ob es dir etwas bringt (oder auch nicht).
Die Bedeutung von Achtsamkeit im Alltag
Warum ist Achtsamkeit wichtig?
In unserer schnelllebigen, hektischen und auf Effizienz ausgerichteten Zeit neigen wir dazu, den Moment zu verpassen, da wir ständig an die Vergangenheit denken oder uns Sorgen um die Zukunft machen. Immer wieder ist es auch so, dass wir versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Blöderweise funktioniert das aber nicht. Vielleicht hast du das alles auch schon selbst erlebt.
Achtsamkeit kann dir helfen, den Augenblick voll und ganz zu erleben. Damit verbrauchst du zum einen deutliche wengier Energie und zum anderen kann dies zu mehr innerer Ruhe beitragen. Langfristig betrachtet wird sich dein Leben dadurch wohlmöglich stressfreier anfühlen.
Vorteile der Achtsamkeitspraxis
Die regelmäßige Praxis der Achtsamkeit kann zahlreiche Vorteile mit sich bringen, darunter:
- Reduzierung von Stress und Angst
- Verbesserung der Konzentration
- Stärkung des Immunsystems
- mehr Gedankenruhe
- Besseres emotionales Wohlbefinden
Über den Verstand achtsam sein?
Viele Menschen rennen also in Achtsamkeits-Angebote mit der Hoffnung, dass es ihnen besser geht, wenn sie Achtsamkeit lernen. Jedoch habe ich den Eindruck, dass nicht wenige denken, man könne Achtsamkeit lernen wie eine Sprache. Ja, Wiederholung und regelmäßiges Üben gehören dazu. Doch kognitiv erfassen kann man Achtsamkeit nur in begrenztem Umfang. Vor dem Beginn einer meiner interaktiven Vorträge oder Workshops beobachte ich immer wieder, dass hektisch Papier und Stift zurecht gelegt werden. Bloß nichts vergessen! Alles für den Verstand festhalten.
So sind wir in der Schule konditioniert worden. Das kennst du wahrscheinlich ganz ähnlich. Bei Achtsamkeit sollte es jedoch um etwas ganz anderes gehen – nämlich das Spüren:
- Was macht Achtsamkeit mit mir?
- Wie wirken die Übungen auf mich?
- Was nehme ich an mir wahr?
Nicht alle mögen auf meinen Hinweis „Es gibt ein Handout im Nachgang.“ die Schreibutensilien weit weg legen. Sicher ist sicher…
Oberflächliche Achtsamkeit
Auch wenn man
- alles fein mitschreibt im Vortrag
- sich alles immer wieder durchliest, ja auswendig lernt
- die Übungen in die To Do Liste aufnimmt und abarbeitet
…fehlt das Entscheidende. Denn:
Auf die innere Haltung kommt es an!
Du kannst Achtsamkeit nicht vom Kopf her vollumfänglich erfassen. Ja, du kannst rein kognitiv das Thema erarbeiten. Das macht bis zu einem gewissen Grad ja auch Sinn. So verstehst du, was du brauchst, um achtsam(er) zu werden.
Doch dringt es dann nicht in die alles entscheidende Tiefe in dir. Es bleibt an der Oberfläche. Was du mindestens brauchst, ist Übung und Wiederholung. Ich betone gerne, dass man auch eine Sprache nicht erlernt, wenn man nur einmal in der Woche Vokabeln paukt – und deshalb ist ebenso in Sachen Achtsamkeit Regelmäßigkeit in der Wiederholung gefragt, wenn möglich täglich.
Achtsamkeit mit Tiefgang geht so.
Doch dieses Üben findet idealerweise aus einer bestimmten, veränderten Grundhaltung heraus statt:
Sanft und wohlwollend mir selbst gegenüber.
Das ist ein erstklassiges Fundament! Die Frage ist nur: Wie baust du es auf?
Diese Haltung braucht Zeit sich zu entwickeln und das klappt nicht, indem du nur darüber nachdenkst oder ein Buch nach dem nächsten liest. Deine Grundhaltung zeigt, wie du mit dir und deiner Welt umgehst, welche Überzeugungen, Glaubenssätze etc. du entwickelt hast. Ich mag in diesem Zusammenhang den Begriff „unvoreingenommen“ sehr. Mein Tipp:
Übe unvoreingenommen zu sein – dir selbst und der Umwelt gegenüber.
Achtsam sein bedeutet „Prozessorientierung“
Und apropos „Grundhaltung“: Ich kann es gar nicht genug betonen, dass wir die Zielorientierung in Bezug auf Achtsamkeit gepflegt über Bord werfen sollten. Achtsamkeit hat nichts damit zu tun, irgendetwas zu erreichen. Ich vergleiche die Übungen gern mit dem Tanzen, dem Singen, dem Spielen etc. Wer tanzt, singt, spielt, der will auch nicht irgendein Ziel erreichen im Sinne von „fertig werden“, sondern der Prozess dessen, was da gerade geschieht, ist quasi das Ziel.
Ein Beispiel aus meiner Praxis dazu. (Klicke auf das +, wenn du dies lesen willst.)
Ich habe vor Jahren einmal eine Weile mit einer Führungskraft aus einem großen, international tätigen Unternehmen in Hamburg gearbeitet. Die Personalabteilung machte sich große Sorgen um diesen Mann, der vorsorglich beurlaubt worden war, weil er so erschöpft war. Man legte ihm nahe, in der Zeit dieses Sonderurlaubs keine dienstlichen Mails abzurufen. Tatsächlich ist es dort durchaus Usus, Dienstmails nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub abzurufen. Er hielt sich aber nicht an den Vorschlag, leistungsorientiert wie er war. Selbstwahrnehmung? Fehlanzeige.
Also fingen wir mit leichten Achtsamkeitsthemen an und es gab eine Hausaufgabe für ihn: eine sanfte, achtsame Bewegungsübung aus der progressiven Muskelentspannung entlehnt. Als er nach 14 Tagen zum nächsten Termin kam, führte er mir stolz vor, wie effizient er geübt hatte. Täglich sogar!
Das sah dann folgendermaßen aus: Mit dem einen Arm/ der einen Hand machte er die besprochene Übung und mit der jeweils freien Hand rief er zeitgleich Mails ab über sein Smartphone. Vom Effizienzgedanken her – top! Allerdings ist dieser Mensch sehr unachtsam mit sich und seinem Zustand umgegangen. Sich selbst hat er dabei nämlich gar nicht wahrgenommen. Er hat lediglich Jobs abgearbeitet.
Selbstwahrnehmung & achtsam sein: Wie die Gesellschaft uns ein Bein stellt
Achtsamer mit sich selbst zu sein und sich und seine jeweilige Befindlichkeit gut wahrzunehmen, ist gar nicht leicht. Denn: Während einige Gefühlslagen gesellschaftlich romantisiert werden, sollen andere, so schnell es geht, abgeschaltet werden.
Ich beobachte, dass persönlicher Kontrollverlust „in“ ist. Es ist in, sich über die Maße mitreißen zu lassen von Gefühlen wie
- Leidenschaft
- Begierde
- Wut
Wir leben in einer Zeit, die immer stärker polarisiert. Professor Dr. Pörksen bezeichnet unsere Gesellschaft nicht umsonst als Skandalgesellschaft. Während vor einigen Jahren viele Menschen noch Begriffe wie Populismus und Narzissmus nachschlagen mussten, sind dies heute gängige Schlagworte, mit denen nahezu jeder etwas anfangen kann. Heute geht es oft darum, sich von Situationen und Gefühlen mitreißen zu lassen. Nicht selten passiert dies in Kombination mit einer Vereinfachung der Dinge. Der Mensch möchte halt Erklärungen und je komplexer die Welt ist, um mehr sehnt er sich nach Einfachheit. Einfache Erklärungen, die emotional mitreißen. Da entsteht zumindest für den Moment Klarheit – auch wenn Fakten verwässert oder verfälscht werden und dies global betrachtet wenig hilfreich ist.
Wenn Trauer schnell weggehen soll
Darüber hinaus ist da dieses Gefühlspotpourri aus
- Schmerz
- Leiden
- Trauer
welches so schnell wie möglich verschwinden soll. Klar, diese Gefühle mag keiner und trotzdem ist es sinnvoll, sie in dem Moment, wo sie sich zeigen, auch zuzulassen. Das, was Leid verursacht, sollte unbedingt betrachtet und nicht weggedrückt werden. Die Tatsache, dass im DSM 5 – dem Diagnostikhandbuch für psychische Störungen (Version 5) – die gesunde Trauerphase in der jüngsten Ausgabe auf 14 Tage gekürzt wurde und danach bereits eine depressive Episode diagnostiziert wird, spricht Bände.
Man stelle sich vor: Da stirbt der Partner, das eigene Kind oder andere nahe Angehörige und nach 2 Wochen hat man wieder vollkommen stabil im Leben zu stehen. Was denkst du: Ist das realistisch?
Wichtig ist mir, dass dir bewusst wird, wie sehr die Gesellschaft dein Wahrnehmen und Handeln beeinflusst. Achtsamkeit zu leben und achtsam zu sein bedeutet auch, dies klar zu erkennen. Und eventuell macht es Sinn, entsprechende Konsequenzen für das eigene Dasein daraus zu ziehen.
Vom Machen zum Sein
Ich schlage dir vor, immer wieder das simple Zurücklehnen zu üben:
Raus aus dem Machen kommen und eben auch nicht Achtsamkeit „machen“, sondern schlichtweg einfach sein.
Beispiele für Achtsamkeit im Alltag
Morgenrituale
Beginne deinen Tag achtsam, indem du dir ein paar Minuten Zeit nimmst, um tief durchzuatmen, dich zu dehnen und dankbar für den neuen Tag zu sein. Oder schnapp dir dein Lieblings-Morgengetränk und stell dich damit ans Fenster, um den Himmel zu schauen.
Achtsames Essen
Anstatt dein Essen hastig herunterzuschlingen, nimm dir Zeit, jeden Bissen zu genießen. Achte auf die Farben, Gerüche und Texturen deiner Mahlzeit. Und scrolle dabei bitte nicht in social Media herum oder schaue Fernsehen.
Achtsames Arbeiten
Fokussiere dich auf eine Aufgabe nach der anderen und vermeide Multitasking. Das kann deine Produktivität und Zufriedenheit am Arbeitsplatz erheblich steigern. Ja, ich weiß, das ist nicht leicht. Denn gerade im Berufsalltag wird oft vieles gleichzeitig gefordert. Zu dumm, dass der Mensch jedoch nicht in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit zu teilen.
Achtsame Kommunikation
Höre deinem Gegenüber wirklich zu, ohne die Person zu unterbrechen oder gedanklich abzuschweifen. Und du hast bitte nicht dein Handy in der Hand oder legst es auf den Tisch während des Gespräches. Echte Zugewandtheit fördert tiefere und bedeutungsvollere Beziehungen.
Hol dir hier einige Übungen gratis!
Auf meiner Webseite findest du ein paar Achtsamkeitsübungen zum Reinschnuppern. Probiere dich gern damit aus. Ich stelle sie dir komplet kostenfrei zur Verfügung.
Die Herausforderungen der Achtsamkeitspraxis
Geduld und Ausdauer
Achtsamkeit erfordert Geduld und ständige Übung. Es ist normal, dass dein Geist abschweift. Es kann sogar Teil der Übung sein, genau dies zu beobachten. Wichtig ist, dass du dich nicht dafür verurteilst, wenn Gedanken aufkommen. Denn das Entstehen von Gedanken und Gefühlen haben wir nicht unter Kontrolle.
Achtsamer werden bedeutet auch, eine neue Gewohnheit aufzubauen. Dafür benötigst du Zeit. Genauso wie das Lernen einer Sprache, einer Sportart oder Ähnliches eben auch Zeit benötigt.
Umgang mit Ablenkungen
Finde Wege, Ablenkungen zu minimieren, z.B. durch die Schaffung eines ruhigen Raumes für deine Praxis. Und fang unbedingt mit kleinen Übungen an. Schnapp dir nicht sofort den herausforderndsten Übungsweg wie zum Beispiel 30 Minuten Meditation.
Integration von Achtsamkeit in den Alltag
Praktische Tipps und Strategien
- Routinen entwickeln:
Integriere Achtsamkeit in deine täglichen Abläufe. Das Coole ist, wenn du Alltagshandlungen (duschen, Zähne putzen, zur Arbeit radeln etc.) achtsam ausführst, benötigst du nicht zusätzliche Übungszeit.
- Erinnerungen setzen:
Nutze Erinnerungen, um dich im Alltag an die Achtsamkeit zu erinnern. Mach dir die moderne Technik zu Nutze. Trag dir Achtsamkeits-Termine in deinen Handy-Kalender ein und nutze die Erinnerungsfunktion.
Langfristige Umsetzung
Achtsamkeit ist eine lebenslange Praxis. Achtsamkeit ist eben nicht nur ein Werkzeug, sondern vielmehr eine innere Haltung, die permanent gelebt werden will. Bleibe engagiert und offen für neue Erfahrungen und Erkenntnisse.
Achtsamkeit kennenlernen?
Wenn du Achtsamkeit kennenlernen willst, dann komm gern zum Achtsamkeit-Workshop! Wir üben in einer bewusst kleinen Gruppe verschiedene Übungen, tauschen uns über Erfahrungen aus etc.
Die Wissenschaft hinter Achtsamkeit
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Studien zeigen, dass Achtsamkeit die Struktur und Funktion des Gehirns verändern kann, besonders in Bereichen, die mit Aufmerksamkeit und Emotionen verbunden sind.
Psychologische Studien
Forschung hat bewiesen, dass Achtsamkeit Stress reduziert, das Wohlbefinden erhöht und die psychische Gesundheit verbessert.
Einige Infos zur Studienlage habe ich dir hier zusammengestellt.
Schlussfolgerung
Achtsamkeit ist mehr als nur eine Modeerscheinung. Sie ist ein wertvolles Werkzeug, um den Alltag bewusster und erfüllter zu erleben. Indem du lernst, im Hier und Jetzt zu leben, kannst du deine Lebensqualität erheblich steigern.
FAQs
Was ist der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Meditation?
Achtsamkeit ist eine Form der Meditation, die darauf abzielt, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen. Es gibt jedoch viele andere Meditationspraktiken, die unterschiedliche Ziele verfolgen.
Kann jeder Achtsamkeit lernen?
Ja, Achtsamkeit ist eine menschliche Fähigkeit, die jeder grundsätzlich in sich trägt. Falls sie bei dir „eingerostet“ ist, kannst du sie reaktivieren und entwickeln, unabhängig von Alter oder Hintergrund.
Wie lange sollte ich täglich Achtsamkeit üben?
Schon wenige Minuten pro Tag können einen Unterschied machen. Wichtig ist die Regelmäßigkeit der Praxis.
Kann Achtsamkeit bei psychischen Problemen helfen?
Viele Studien zeigen, dass Achtsamkeitstechniken bei der Behandlung von Angst, Depression und anderen psychischen Problemen hilfreich sein können.
Muss ich religiös sein, um Achtsamkeit zu praktizieren?
Nein, Achtsamkeit kann unabhängig von religiösen oder spirituellen Überzeugungen praktiziert werden.
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