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Persönlichkeitsstörungen verstehen

Was ist eine Persönlichkeitsstörung?

Um Persönlichkeitsstörungen zu verstehen, lohnt es sich, sich kurz mit der Persönlichkeit grundsätzlich zu beschäftigen. Hast du dir schon mal überlegt, was Persönlichkeit bedeutet? Vielleicht denkst du jetzt an Begriffe wie „Charakter“, „Werte“, „Temperament“ oder „innere Haltung“.

In der Psychopathologie, also der Lehre der seelischen Erkrankungen, bedeutet „Persönlichkeit“ „die Summe aller psychischen Eigenheiten und Verhaltensbereiche, die für den Einzelnen einzigartig und unverwechselbar sind und Aspekte des Fühlens, Denkens, Wahrnehmens und der Gestaltung sozialer Beziehungen beinhalten.“ (Paulitsch, Klaus: Praxis der ICV-10-Diagnostik)

Ein Mensch mit Persönlichkeitsstörung zeigt sich unflexibel und starr im Verhalten.

Wann handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung?

Eigenheiten und Verhalten können eine große Bandbreite umfassen. Damit eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, müssen nicht nur bestimmte Symptome vorliegen, sondern auch ein hoher Leidensdruck bei der betroffenen Person. Dieser Leidensdruck führt in der Regel zu Problemen im Umgang mit anderen und zu Leid im persönlichen Erleben (weil die betroffene Person sich zum Beispiel übermäßig zurückzieht).

Ein Mensch mit Persönlichkeitsstörung ist meist sehr starr in seinem Verhalten, jegliche Flexibilität oder Anpassung an Situationen ist wenig bis gar nicht unmöglich. Das hat Auswirkungen auf das Miteinander – egal, ob privat oder beruflich.

Bitte sei vorsichtig mit allen Tests und Selbsttests zur Ermittlung von Persönlichkeitsstörungen im Internet! Die Persönlichkeit eines Menschen ist viel zu komplex, als dass durch das Ankreuzen von 20 Fragen ermittelt werden kann, ob du unter einer Persönlichkeitsstörung leidest.

Update 2022: Diagnostische Neubewertung der Persönlichkeitsstörungen

Mit dem neuesten Katalog der Störungen mit Krankheitswert (ICD 11) verschwinden beinahe alle Persönlichkeitsstörungen. Lediglich die Borderline Persönlichkeitsstörung bleibt als eigenständige Diagnose im ICD 11 bestehen.

Warum ist das so? Das zuvor genutzte Konzept nach Kategorien hatte bewirkt, dass die Betroffenen schnell stigmatisiert wurden. Deshalb exisitiert ab sofort „der Narzisst“ nicht mehr. Außerdem wurden in der Vergangenheit häufig mehrere Persönlichkeitsstörungen bei einer Person diagnostiziert, was die Behandlung erschwerte. Das Bild war häufig nicht eindeutig.

Und so wurde nun ein Modell mit verschiedenen Dimensionen eingeführt. Das ist dem BIG Five-Modell ähnlich, nur dass es in diesem Fall ja um krankhafte Verändungen geht und nicht um das Grundlegende einer Persönlichkeit. Wie das im Einzelnen bei der Diagnose genutzt wird, beschreibe ich weiter unten.

 

Welche grundsätzlichen Symptome gibt es?

Bei Persönlichkeitsstörungen treten erste Symptom meist bereits in der Jugend auf, die volle Ausprägung zeigt sich im Erwachsenenalter. Bitte beachte unbedingt, dass Jugendliche (und auch junge Erwachsene) sich in ihrer Persönlichkeit noch stark entwickeln. Hier wäre ich sehr, sehr vorsichtig mit Aussagen, dass ein solch junger Mensch eine Persönlichkeitsstörung hat.

Ganz typisch für jede Persönlichkeitsstörung ist ein spezifisches Verhalten, das dauerhaft gezeigt wird (also nicht nur unter zum Beispiel Stress) und auffällig ist, weil es vom Durchschnittsverhalten abweicht. Und das kann nur ein Experte einordnen. Wenn du als Nicht-Expertin oder Nicht-Experte das Verhalten einer anderen Person beurteilst, kannst du das nur vor dem Horizont deines persönlichen und logischerweise eingeschränkten Kontaktkreises tun. Du kennst nicht alle Menschen und deren Verhalten.

Bitte halte dich unbedingt mit „Küchentisch-Diagnosen“ zurück

Im Grunde besteht bei allen Diagnosen das Problem, dass wir einen Menschen (be-) werten. Das gilt auch die die psychologische versierte Expertin oder den Fachmann. Aber wer bestimmt die Norm? Die Gefahr ist immer, dass wir zu sehr unser eigenes Wertesystem in die Diagnose einfließen lassen. Das ist gerade bei den Persönlichkeitsstörungen eine große Herausforderung. Eine menschenfreundliche und neugierig-offene Grundhaltung ist aus meiner Sicht bei der Diagnose immens wichtig.

Was macht das spezielle Verhalten aus, das mit einer Persönlichkeitsstörung einhergeht?

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

  • interpretieren ihre Wahrnehmungen von Situationen auffallend anders.
  • haben ein anderes Gefühls- und Gemütsleben (Gefühle, Affekte, Stimmungen, Triebhaftigkeit).
  • fällt es schwerer als anderen, ihre Impulse unter Kontrolle zu haben.
  • gehen mit anderen Menschen auffallend anders um.

Außerdem sind diese Abweichungen so ausgeprägt, dass das sehr starre Verhalten der Person mit Persönlichkeitsstörung unpassend und wenig zweckmäßig ist in sozialen Situationen. Dauerhaft hat das einen nachteiligen Einfluss auf die Beziehungen, sodass in der Regel Leidensdruck bei der betroffenen Person entsteht. Ob sie diesen aber auch noch außen zeigt, ist je nach Persönlichkeitsstörung unterschiedlich.

Um wirklich eine objektive Diagnose stellen zu können, kann es sein, dass nicht nur Gespräche mit der betroffenen Person geführt werden müssen, sondern auch mit Menschen auf dem Umfeld der Person. Immer sollte in die Überlegungen einfließen, ob die Störung von vorübergehender Natur ist. Denn dann handelt es sich nicht um eine Persönlichkeitsstörung, sondern zum Beispiel um eine Angststörung, eine Depression, etc.

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Bitte nie vergessen!

Alle Symptome können auch einen körperlichen Ursprung haben. Ein Durchchecken beim Hausarzt ist wichtig!

Welche Arten von Persönlichkeitsstörungen gab es bis Ende 2021?

Neben den allgemeinen Kriterien müssen bei den einzelnen Persönlichkeitsstörungen die folgenden Symptome vorhanden sein:

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Die Person mit paranoider Persönlichkeitsstörung reagiert übertrieben empfindlich auf Zurücksetzungen. Sie ist übermäßig misstrauisch und neigt dazu, dauerhaft einer anderen Person zu grollen. Keine Verletzung oder Beleidung wird vergeben. Diese Person verdreht häufig Erlebtes, sodass neutrale oder sogar freundliche Handlungen anderer als feindlich fehlinterpretiert werden. Eine Person mit paranoider Persönlichkeitsstörung ist übertrieben streitsüchtig und besteht starr auf die eigenen Rechte. Solch ein Mensch wird umgangssprachlich auch als „Prozess-Hansel“ bezeichnet. Gegenüber Lebenspartnern zeigt sie sich misstrauisch, was die sexuelle Treue anbelangt. Ein paranoid gestörter Mensch ist in der Regel sehr ichbezogen und überheblich. Er befasst sich auffallend oft mit Verschwörungen als Erklärung für eigene Erlebnisse oder gesellschaftliche Ereignisse.

Insgesamt ist diese Person permanent misstrauisch und feindselig.

Typische Überzeugungen eines solchen Menschen sind:

„Alle sind gegen mich.“

„Ich vertraue niemandem.“

„Die Welt ist schlecht/ böse.“

Menschen mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leiden meist unter einem sehr schwach ausgeprägten Selbstwert. Um nicht von anderen verletzt zu werden, geht die Person quasi vorbeugend in den Angriff. Häufig findet man Kombinationen von paranoider Persönlichkeitsstörung und dissozialer oder Borderline Persönlichkeitsstörung.

Diese Diagnose wird sehr selten gestellt, denn eine Person mit einer derartigen Persönlichkeitsstörung kommt extrem selten in eine psychotherapeutische Praxis. Sie ist halt auch Experten gegenüber misstrauisch. Diese Diagnose spielt eher eine Rolle bei Gutachten und in der Gerichtsmedizin.

Emotional-instabile/ Borderline Persönlichkeitsstörung

Emotional-instabile und Borderline Persönlichkeitsstörung

Eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch:

  • ein Handeln ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, gern erfolgt dieses Handeln auch unerwartet
  • häufige Konflikte mit anderen, insbesondere wenn diese das impulsive Verhalten tadeln oder versuchen zu unterbinden
  • Neigung zu Wut und/ oder Gewaltausbrüchen, ohne dass dieses Verhalten kontrolliert werden kann
  • launische Stimmung

Wenn dann noch einige der folgenden Symptome hinzukommen, spricht man von einer:

Borderline Persönlichkeitsstörung
  • Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter, verschiedene Lebensbereiche sind betroffen.
  • Impulsivität ist ein übergeordnetes Muster: Es berührt das Selbstbild, die Beziehungen und die Affekte.
  • Die betroffene Person leidet unter einem gestörten Selbstbild und Unsicherheit bezüglich der eigenen Ziele.
  • Sie führt in der Regel intensive und zugleich instabile Beziehungen, was häufig zu emotionalen Krisen führt. Häufig ist ein „heiß-kalt“ zu beobachten: Idealisierung und Entwertung im steten Wechsel.
  • Der Mensch mit Borderline Persönlichkeitsstörung hat größte Angst vor dem Verlassenwerden und unternimmt deshalb sehr viel, um dies zu verhindern.
  • Üblich sind auch Androhung von Selbstschädigung sowie Durchführung derselben. Selbstschädigendes Verhalten wird in den folgenden Bereichen ausgelebt:
    • Geld ausgeben
    • Sexualität
    • Substanzmittelmissbrauch
    • Verantwortungsloses Fahren
    • Essanfälle
  • Aber auch das Ritzen und/ oder Suizid fällt unter das selbstschädigende Verhalten.
  • Emotionale Instabilität ist ein weiteres typisches Symptom für einen Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstörung: Reizbarkeit, Angst, Erregbarkeit der Stimmung sind meist zu beobachten.
  • Auf der emotionalen Ebene leiden die Betroffenen auch oft unter Wut und der Unfähigkeit, diese zu kontrollieren. Das führt wiederum zu Selbstschädigung oder auch körperlichen Auseinandersetzungen. Nicht ungewöhnlich sind Prügeleien in der Partnerschaft.
  • Ein chronisches Gefühl von Leere ist typisch.
  • Unter hoher Belastung können auch paranoide oder sogar wahnhafte Vorstellungen auftreten.
Wesentlich für die Borderline Persönlichkeitsstörung…

…sind die Selbstbildprobleme: Die betroffene Person springt immer wieder zwischen Wertevorstellungen, persönlichen und beruflichen Zielen. Diese Umschwünge kommen meist unvermutet: Was eben noch toll und erstrebenswert war, ist nun das genaue Gegenteil. Heute schwarz, morgen weiß. Heute heiß, morgen kalt. Die Instabilität zieht sich durch viele Aspekte des Daseins, auch die Sexualität ist davon nicht ausgenommen.

Ebenso typisch ist die hohe innere Spannung, die eine Person mit Borderline Persönlichkeitsstörung immer wieder erlebt. Diese wird oft ausgelöst durch Wut und mündet nicht selten in selbstverletzendem Verhalten, um die Spannung abzubauen. Das Ritzen von Armen und/oder Beine mittels Rasierklinge, Messer, Scherbe etc. ist dabei ein gängiger Weg, ohne dass dieser vorab geplant wird, sondern impulsiv erfolgt.

Diese Impulsivität zeigt sich auch beim gestörten Essverhalten (Ess-Brech-Attacken), beim Konsum von Drogen oder beim Geld ausgeben.

Der Begriff „Borderline“ (engl.: Grenze) wurde übrigens nicht aus dem grenzgängerartigen Verhalten der betroffenen Personen hergeleitet, sondern stammt aus dem klinischen Kontext: Der Begriff wurde ursprünglich für die psychischen Störungen verwendet, die im Grenzbereich zu den schizophrenen Störungen angesiedelt sind.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Die Auseinandersetzung mit dem Konstrukt „Narzissmus“ boomt. Verwunderlich ist das nicht, denn wir leben in einer Zeit der stark ausgeprägten Individualisierung und damit der Ichbezogenheit. Auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bringt es jedoch mit sich, dass sie im frühen Erwachsenen alter entstanden ist und zu einem dauerhaften, unflexiblen Verhalten führt, was erheblichen Leidensdruck erzeugt. Im Fall der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind es meist nicht die Betroffenen, die wegen ihres Leidens Hilfe suchen.

Eher sind es Menschen aus dem Umfeld des „Narzissten“, die unter seinem Verhalten erheblich leiden. Der Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung leidet zwar unter einem wenig ausgeprägten Selbstwertgefühl. Doch zugeben wird er das wahrscheinlich nur in Phasen der Deprimiertheit oder Depression.  Und genau das ist auch die Phase, in der der Betroffene offen ist für therapeutische Interventionen. Psychotherapeut:innen, die auf Narzissmus spezialisiert sind, sagen auch gern, dass ein Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung in eine Depression geführt werden muss, damit er therapierbar ist.

Zum jetzigen Zeitpunkt wird zwischen zwei bzw. drei Arten von Narzissmus unterschieden:

  • grandios-offensichtlich
  • schizoid-verdeckt
  • bösartig

Die Frage ist, ob der bösartige Typus tatsächlich von den beiden (!) anderen getrennt werden kann. Denn dieses grundsätzlich „Zweigesichtige“ ist ein klassisches Merkmal beim Narzissmus.

Der Grandiose-Offensichtliche:

  • zeigt seine vermeintliche Grandiosität nach außen
  • will Aufmerksamkeit, die er sich durch auffallend charmant-schmeichelnde und/oder generöse Verhaltensweisen verschafft
  • wirkt sehr selbstbewusst
  • zeigt sich anderen gegenüber arrogant
  • ist nicht selten auf bestimmten Wissensgebieten sehr versiert oder hat sich besondere Fähigkeiten angeeignet, was ihn interessant macht

Der Schizoid-Verdeckte

  • wirkt sehr untypisch, da er seine Grandiosität nicht nach außen trägt
  • zeigt eher Scham, Ängstlichkeit und depressive Stimmung
  • fühlt sich schnell und tief verletzt durch Kritik und eigenes Scheitern
  • kann sich nicht gut in andere hineinversetzen
  • Grandiosität und Überheblichkeit zeigen sich erst beim genaueren Hinsehen

Der Bösartige

  • bringt eine explosive Mischung aus Aggression, Tendenzen zum Verfolgungswahn und antisozialem Verhalten mit sich
  • sind vollkommen von ihrer Großartigkeit überzeugt
  • fühlen sie sich nicht wertgeschätzt, neigen sie zur Rache
  • schnell sehen sie in Mitmenschen Feinde


Ich persönlich tue mich schwer mit der Dreiteilung. Nach meiner Auffassung, tragen sowohl der offensichtliche also auch der verdeckte Typus jene bösartigen Züge des dritten Typen in sich. Januskopfartig zeigen sie diese Züge immer dann, wenn sie Gegenwind spüren und ihre Ziele gefährdet sind.

Egal, welchen Typus du betrachtest, alle bringen die folgenden Eigenschaften mit:

  • ein übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit und Einzigartigkeit
  • Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Schönheit, idealer Liebe
  • Überzeugung, dass nur besondere Menschen sie verstehen
  • erwarten Bewunderung und bevorzugte Behandlung
  • nutzen andere Menschen aus, um eigene Ziele zu erreichen
  • zeigen wenig Empathie
  • haben kein Interesse am Gegenüber
  • beneiden andere oder glauben, dass andere sie beneiden
  • verhalten sich überheblich

Die Person mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung leidet unter einem geringen Selbstwertgefühl und innerer Leere. Ja, das gilt auch für den grandiosen Typus! Diese Menschen befinden sich im permanenten „Wertungskampf“: Andere abwerten, um sich selbst aufzuwerten (grandios-offensichtlich) oder stellt andere über die Maße auf einen Sockel (schizoid-verdeckt). Dadurch versucht sie, ihre negativen Gefühle in den Griff zu bekommen und den inneren Hunger zu stillen.

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Mit diesem Begriff kannst du wahrscheinlich nicht so viel anfangen. Früher sagte man stattdessen „hysterisch“. Aber weil dieses Wort im allgemeinen Sprachgebrauch in den Bereich der Schimpfwörter gerutscht ist und oft eine Diskriminierung zur Folge hat, wurde der Fachbegriff verändert.

Menschen mit einer histronischen Persönlichkeitsstörung wollen immer im Mittelpunkt stehen. Sie ertragen es nicht, keine Aufmerksamkeit zu erhalten. Typisch sind:

  • Selbstbezogenheit
  • Egozentrik
  • manipulatives Verhalten
  • hohe Kränkbarkeit
  • emotionale Labilität
  • Hang zum Dramatisieren
  • verführerisches Verhalten

Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung zeigen sich häufig charmant bis kokett, können eine ganze Gesellschaft unterhalten und mitreißen (Stimmungskanone).

Auch bei dieser Persönlichkeitsstörung gilt: Bitte vermeide jegliche „Küchentisch-Eigendiagosen“. Die für eine histrionische Persönlichkeitsstörung typischen Verhaltensweisen sind nicht immer automatisch krankhaft, gerade wenn es um den Wunsch geht, gesehen zu werden und im Mittelpunkt zu stehen. Auch ein verführerisches Verhalten ist eine sehr menschliche Eigenschaft. Denk da mal an dich selbst: Wenn du auf Partnersuche warst (oder bist), dann benimmst du dich in bestimmten Momenten wahrscheinlich auch verführerisch. Du bist dann aber nicht automatisch pathologisch in deinem Verhalten. Erinnere dich: Erst wenn der Leidensdruck der betroffenen Person gegeben ist und die Person dauerhaft ein starres Verhalten zeigt, macht es Sinn zu prüfen, ob eine Persönlichkeitsstörung vorliegt.

Dissoziale oder antisoziale Persönlichkeitsstörung

Personen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung erlebt man auffallend oft im gerichtlichen Kontext. Diese Menschen zeigen sich völlig unbeeindruckt von den Gefühlen anderer. Sie legen eine verantwortungslose Haltung an den Tag unter Missachtung der sozialen Normen und Regeln. Dies tun sie nicht, weil sie diese nicht verstanden haben, sondern weil ihnen ihre eigenen Regeln wichtiger sind.

Diese Menschen werden im Durchschnitt schneller aggressiv und gewalttätig. Ihre Frustrationstoleranz ist sehr gering. Da ihnen meist das Schuldbewusstsein fehlt und sie eher nicht aufgrund von negativen Erfahrungen/ Bestrafungen lernen, stehen diese Personen nicht selten mit dem Gesetz in Konflikt. Hier beschuldigen sei gern andere und bauen ein abstruses Argumentationsgebilde auf, das ihr Verhalten rechtfertigen soll. Sehr oft tritt diese Persönlichkeitsstörung in Kombination mit anderen Störungen wie zum Beispiel Substanzmittelmissbrauch auf.

Die Diagnose ist tendenziell problematisch. Denn nicht jeder Mensch mit dieser Störung ist automatisch kriminell. Und diejenigen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sind auch nicht alle dissozial einzustufen. Auch grundsätzlich hochangesehene Menschen ohne kriminellen Background können eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufweisen. Wichtig ist, diese Form eben nicht zu reduzieren auf eine bestimmte Personengruppe

Anankastische oder zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung

Ein Mensch mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung legt eine übermäßige Vorsicht an den Tag und ist extrem gewissenhaft bis pedantisch. Er befasst sich permanent mit Regeln, Vorschriften, Listen, Ordnung. Sein Leistungsdenken ist unverhältnismäßig: Um alles perfekt zu machen vernachlässigt er Beziehungen und Genuss. Außerdem erwartet solch eine Person, dass anderen sich ihren Gewohnheiten unterzuordnen haben. Sehr eigensinnig besteht sie auch oft darauf, alles selbst zu machen. Ziel ist es, dass es genau so gemacht wird, wie dieser Mensch mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung es erwartet. Und das kann – im Denken dieser Person – nur eben jene.

Und auch hier gilt erneut: „Die Dosis bestimmt das Gift.“ Sobald die betroffene Person oder auch das Umfeld nachhaltig unter dem Verhalten leidet, darf die Diagnose der zwanghaften Persönlichkeitsstörung in Erwägung gezogen werden. Die Betroffenen gelten oft als Moralapostel und wirken auf andere mürrisch, unzugänglich und grantelig. Kritik nehmen sie sich sehr zu Herzen, was dazu beitragen kann, dass die Person den Weg in die Therapie sucht.

Wichtig ist, eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung von einer Zwangsstörung abzugrenzen. Menschen mit letzterer haben massive Zwangsgedanken oder leiden unter starren Zwangsritualen (Hände waschen, Herd kontrollieren). Dies führt zu einem enormen, inneren Druck und Angst (wenn dem Ritualdrang nicht Folge geleistet wird). Mehr zur Zwangsstörung findest du hier. Aber auch die Abgrenzung zu anderen psychischen Erkrankungen ist wichtig: Menschen mit einer depressiven Episode zeigen teilweise auch ein zwanghaftes Verhalten.

Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung

Personen, die unter einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung leiden, sind sehr zurückhaltend und „dauerbesorgt“. Bereits seit der Kindheit sind diese Menschen sehr selbstunsicher, haben Angst vor Zurückweisung und negativer Beurteilung. Sie fühlen sich übermäßig schnell kritisiert, sodass sie nicht selten Probleme im Beruflichen haben. All diese Ängste führen zu einem sozialen Rückzug. Eine Person mit einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung ist davon überzeugt, unattraktiv und minderwertig zu sein. Aus Angst, ihr könnte etwas zustoßen, schränkt sie ihren Lebensstil stark ein.

Eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ist nahezu identisch mit einer sozialen Phobie. Dennoch existiert ein entscheidender Unterschied: Menschen mit einer sozialen Phobie erleben ihre Angst meist nur in einem ganz bestimmten Kontext, während sich die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung wie ein roter Faden durch das gesamte Leben der betroffenen Person zieht. Therapeutisch ist es wenig problematisch, dass die Abgrenzung so schwierig ist. Denn die Möglichkeiten der Behandlung gleich sich.

Schizoide Persönlichkeitsstörung

Eine Person mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung wirkt in der Regel sehr kühl, distanziert, scheu und reserviert. Ihre Affekte sind abgeflacht: Die emotionale Ausdrucksfähigkeit ist wenig ausgeprägt. Sie ist auffallend oft nicht in der Lage, Gefühle anderen gegenüber auszudrücken (positive wie negative). Lob und Kritik sind ihr gleichgültig. Wenig bringt dieser Person Spaß und sie bevorzugt Aktivitäten, die sie alleine macht. Gern taucht sie ab in ihre eigene Fantasiewelt, in die sie niemanden hineinlässt. Diese Fantasien sind jedoch nicht als Wahnvorstellungen zu verstehen!

Ein Mensch mit schizoider Persönlichkeitsstörung pflegt keine engen Freundschaften oder Beziehungen und vermisst diese auch nicht. Er fühlt sich in Gesellschaft eher unwohl und mag sein Einzelgängerdasein. Das Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen ist mangelhaft ausgebildet. Gesellschaftlichen Regeln zu folgen, fällt diesem Menschen schwer, weil ihm die Sensibilität dafür fehlt und nicht weil er sich proaktiv aggressiv gegenüber anderen verhalten will. Manchmal wird eine die schizoide Persönlichkeitsstörung mit Autismus verwechselt.

Bitte stempele nicht jeden Einzelgänger als schizoid gestört ab! Die Diagnose sollte nur dann gestellt werden, wenn die betroffene Person aufgrund ihres Verhaltens Nachteile erlebt. Hier denke ich zum Beispiel an den beruflichen Kontext: Dieser Mensch findet vielleicht wegen seines auffälligen Verhaltens keine berufliche Anstellung.

Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung gehen sehr selten von sich aus in Therapie.

Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

Es ist die große Frage, ob diese Persönlichkeitsstörung wirklich existiert. Die Forschungslage ist dahingehend sehr diffus. Aus den klassischen Klassifizierungskatalogen sind die Beschreibungen mittlerweile fast ganz verschwunden. Sie tauchen zum Teil nur noch im Anhang auf.

Personen mit einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung (oder vielleicht eher einem Persönlichkeitsstil) zeigen sich äußerst negativistisch: Es ist eine permanente „Anti-Haltung“ durch Passivität zu beobachten. Die betroffene Person ist mürrisch, reizbar, streitsüchtig und nutzt Verzögerungs- und Sabotagetaktiken. Gerade im beruflichen Kontext arbeitet sie provokant langsam oder redet die Aufgaben schlecht, die sie nicht abarbeiten will. Sie vermeidet das Erfüllen von Pflicht und gibt vor, diese vergessen zu haben.

Ein Mensch mit passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung reagiert negativ auf Forderungen anderer, Vorgesetzte nicht ausgenommen. In Projekten jeglicher Art sperrt er sich dem gemeinsamen Vorwärtskommen. Typisch ist, dass diese Personen andere lange auf Distanz halten. Schutz der eigenen Grenzen ist ihnen sehr wichtig. Auf jegliche Einschränkungen der eigenen Autonomie reagieren diese Menschen äußerst empfindlich.

 

Dependance oder abhängige Persönlichkeitsstörung

Ein Mensch mit einer dependenten Persönlichkeitsstörung trifft nicht gern Entscheidungen, sondern gibt diese lieber an andere ab. Alternativ erbittet er permanent um Hilfe und Unterstützung. Um diese zu erlangen, ordnet die betroffene Person sich und ihre Bedürfnisse anderen unter. Sie ist kaum in der Lage, ein eigenes Bedürfnis bei Menschen zu äußern, von denen sie sich abhängig fühlt. Das Verhalten wirkt geradezu unterwürfig. Die Betroffenen haben Angst, verlassen zu werden, weil sie sich dann für sich selbst sorgen müssen.

Es besteht eine hohe Abhängigkeit von mindestens einer Bezugsperson. Sie sind nicht in der Lage, ein eigenverantwortliches Leben zu führen, sondern sind stattdessen bereits bis zur Selbstaufgabe sich anzupassen, um dafür aber jemanden um sich zu haben, der sich kümmert.

Welche Cluster gibt es?

Die Persönlichkeitsstörungen werden im Leitfaden für psychische Störungen „DSM“ (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) in Cluster eingeteilt.

Das amerikanische DSM spielt zwar in Europa und Deutschland eine eher nebengeordnete Rolle.

Psychotherapie: Warum und wann?

Trotzdem findet die Clusterung der Persönlichkeitsstörungen auch hier Beachtung. Denn diese Einteilung ist sinnvoll und hilfreich.

Die Persönlichkeitsstörungen werden in drei übergeordnete Gruppen geteilt: Cluster A, B und C.

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Cluster A

Hier findest du die Persönlichkeitsstörungen, die vorrangig zu einem auffälligen und sonderbaren oder exzentrischen Verhalten führen:

    • Paranoide Persönlichkeitsstörung
    • Schizoide Persönlichkeitsstörung
    • Schizotypische Persönlichkeitsstörung (gehört wegen der Symptome eher zu den schizophrenen Störungen)
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Cluster B

In dieser Gruppe werden die Persönlichkeitsstörungen versammelt, die vorrangig zu einem launischen, emotionalen oder dramatischen Verhalten führen:

    • Dissoziale Persönlichkeitsstörung
    • Histrionische Persönlichkeitsstörung
    • Narzisstische Persönlichkeitsstörung
    • Borderline Persönlichkeitsstörung
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Cluster C

Diese Gruppe versammelt alle Persönlichkeitsstörungen, die vorrangig von den Symptomen Angst und Abhängigkeitsverhalten dominiert werden:

    • Vermeidend-unsichere Persönlichkeitsstörung
    • Dependente Persönlichkeitsstörung
    • Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen ab 2022

Da die oben genannten Kategorien wegfallen, geht man nun wie folgt vor:

  1. Die diagnostisch relevante Funktionsbeeinträchtigung wird geprüft.
  2. Das Ausmaß der Beeinträchtigung wird bestimmt.
  3. Diese werden nun Persönlichkeitsmerkmalen zugeordnet.

Es gibt also nun salopp gesprochen nur noch eine Persönlichkeitsstörung – die jeweils unterschiedlich ausgeprägt ist.

Damit die Diagnose gestellt werden kann, sind Beeinträchtigungen des Selbst entscheidend.

 

Wo zeigen sich die Beeinträchtigungen?

  • Kognition (die Entscheidungsfähigkeit ist eingeschränkt)
  • negative Affektivität/ negative emotionale Erfahrung (Misstrauen, geringes Selbstwertgefühl)
  • emotionaler Ausdruck/ Bindungslosigkeit (sozialer Rückzug, Mangel an Empathie, manipulatives Verhalten)
  • unpassende Impulskontrolle, Enthemmtheit (Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Zwanghaftigkeit)
  • die Verhaltensauffälligkeit tritt situationsübergreifend auf

Ursachen von Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen sind nicht angeboren! Drei Faktoren spielen möglicherweise bereits ab frühester Kindheit eine Rolle bei der Entwicklung einer solchen Störung:

 

  • Veranlagung: Das kann eine körperlich verursachte Übererregbarkeit sein.
  • Lernerfahrung: Bestrafung für selbstsicheres Verhalten
  • Verstärkung von nicht förderlichen Verhaltensweisen: Vermeidung für zu affektiver Entlastung
Persönlichkeitsstörung: Gibt es Wege aus dem Leidensdruck?

Persönlichkeitsstörung: Behandlung/ Therapie

Ist eine Persönlichkeitsstörung heilbar? Das ist eine berechtigte Frage und sie ist nicht leicht zu beantworten. Grundsätzlich sind Heilversprechungen jeder Art unseriös, wenn es um psychische Krankheiten geht. Diese sind nicht mit einem gebrochenen Bein vergleichbar.

Du kannst davon ausgehen, dass alle Verhaltensmuster, die du dir angeeignet hast, erhalten bleiben. Persönlichkeitsstörungen erzeugen auch derartige Muster. Vielleicht fühlt es sich für dich auch so an, als wenn diese Muster deine Persönlichkeit sind.

Aber – und das ist jetzt ein ganz dickes ABER – du kannst den bestehenden Mustern auch neue an die Seite stellen, mit denen du dich besser fühlst und weniger Leidensdruck spürst.

Auf diese Weise können Persönlichkeitsstörungen therapiert werden: Du erkennst und verstehst alte Muster, um anschließend neue zu entwickeln und zu trainieren.

Da die bestehenden Muster über einen längeren Zeitraum wirken konnten (siehe oben: Ursachen), ist das Folgende in der Therapie sehr wichtig:

R

Motivation

R

Geduld

R

Beharrlichkeit

    Wie klappt es mit der Therapie?

    Alle drei Aspekte solltest du mitbringen, wenn du eine Persönlichkeitsstörung hast und diese behandelt werden soll:

    • Du bist motiviert, an deinem Leidensdruck zu arbeiten. Du hast Lust auf ein neues Lebensgefühl und willst wirklich-wirklich alte Muster ablegen. Bedenke: Vielleicht sind das Muster, die dir bisher kurzfristig Befriedigung gebracht haben (und langfristig Leidensdruck).
    • Dass eine Therapie zeitaufwändig ist, hast du verstanden. Und du bist auch willens dich darauf einzulassen, dass eine Therapie ein Prozess ist, der die Zeit braucht, die er braucht.
    • Beharrlichkeit ist wichtig, denn du wirst dich auch zwischen den Terminen mit dir selbst beschäftigen. Du wirst mit Sicherheit in deinem Alltag neue Verhaltensweisen trainieren – und das jeden Tag von neuem.

    Eines noch zum Motivations-Thema:

    Es gibt Persönlichkeitsstörungen, bei denen es eher selten vorkommt, dass eine davon betroffene Person in Therapie geht. Ich denke hier zum Beispiel an die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Ein Mensch mit dieser Störung sieht nicht das Problem bei sich selbst, sondern vielleicht im Außen. Er kommt möglicherweise wegen anderer Themen in Therapie (Burnout o.ä.) und es stellt sich erst im Laufe der Zeit raus, welches zusätzliche Problem die Person hat.

     

    Welche Therapiearten können helfen bei Persönlichkeitsstörungen?

    Natürlich muss man bei der Wahl der passenden Werkzeuge immer auf Persönlichkeit eines Patienten oder einer Patientin schauen. Jemandem eine Therapieart aufzuzwingen, funktioniert nicht. Klassisch wird die Verhaltenstherapie eingesetzt bei Persönlichkeitsstörungen. Denn Ziel ist es ja, am Verhalten der Betroffenen zu arbeiten. Das Verhalten umfasst sowohl die persönlichen Handlungen als auch das Denken. Nach meinem Dafürhalten kann man auch mit hypnotherapeutischen Interventionen und Elementen aus der Akzeptanz- und Commitment Therapie als Ableger des großen Feldes der Verhaltenstherapie sehr gut arbeiten.

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