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Die Illusion des Multitaskings: Ein Blick auf die Realität

Mythos Multitasking – ein Wort, das in unserer heutigen Gesellschaft allgegenwärtig ist. Doch was bedeutet es eigentlich auf Deutsch? Ist es wirklich eine Fähigkeit, die jeder Mensch beherrschen sollte – und kann? Ist es erlernbar? Oder ist es eher eine Belastung für dein Gehirn? In diesem ausführlichen Artikel werfe ich mit dir einen genaueren Blick auf das Phänomen des Multitaskings und beantworte einige der gängigen Fragen dazu.

Was bedeutet Multitasking auf Deutsch?

Multitasking kannst du ins Deutsche übersetzen mit „Mehrfachaufgabenbearbeitung“. Es geht um die Fähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen – egal, in welcher Situation. Du kannst dir zum Beispiel einerseits eine Person vorstellen, die am Arbeitsplatz zeitgleich telefoniert und einen Text korrigiert. Oder aber denk mal an eine andere Person, die daheim das kleine, weinende Kind beruhigt und gleichzeitig das Mittagessen kocht. Du kannst es dir wahrscheinlich schon denken: Multitasking bedeutet eine hohe kognitive Belastung für das Gehirn.

Wer ist multitaskingfähig?

Gehörst du auch zu denen, die denken, dass Frauen mehr multitaskingfähig sind als Männer? Ich muss dir jetzt den Zahn ziehen: Menschen egal welchen Geschlechts sind nicht multitaskingfähig. Nein, wirklich kein Mensch. Ja, es gibt keine Ausnahme. 

Warum du nicht mehrere Dinge zeitgleich tun solltest

Die Grafik oben erklärt es dir: Dein Arbeitsgedächtnis ist sehr begrenzt. Das führt dazu, dass du nicht mehrere Dinge, die du konzentriert tun musst, zeitgleich machen kannst.

Wenn du Multitasking von deinem Gehirn forderst, muss es anfangen, sehr schnell zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her zu schalten. Werden die vorhandenen Ressourcen so aufgeteilt, kommt es unweigerlich zu einer Verringerung der Effizenz. Keine Aufgabe bekommt dann die volle Aufmerksamkeit. Das führt dazu, dass die Zahl der Fehler steigt und der gesamte Prozess ist energetisch sehr aufwändig. Folge: Du fühlst dich schnell gestresst und überfordert. Tatsächlich kann langfristig sogar deine kognitive Fähigkeit beeinträchtigt werden.

Ein Beispiel hierzu:

Montagmorgen, 7:30 Uhr. Du fährst mit deinem Auto durch den Berufsverkehr auf dem Weg ins Büro. Kollegin Sabine hat bereits zweimal mit dir telefoniert wegen der heutigen Präsentation. Du versuchst parallel mit deinem Kind auf der Rückbank zu besprechen, was ihr alles im kommenden Urlaub machen werdet, und deinen Coffee to go zu trinken.

  • Auto fahren
  • telefonieren mit Sabine
  • Gespräch mit dem Kind
  • Kaffee trinken

Vier Dinge, die du nahezu zeitgleich machst. Glaubst du, dass du wirklich vollumfänglich

  • aufmerksam am Steuer bist?
  • alle Gesprächspunkte mit Sabine  mitbekommst?
  • konzentiert bist beim Gespräch mit deinem Kind?
  • deinen Kaffee genießen kannst?

Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte: Nein!

Ist Multitasking effektiv?

Die Wissenschaft hat festgestellt: Die Fehlerquote steigt bei Multitasking

Multitasking – ständig machen wir mehrere Dinge zeitgleich. Das ist gar kein Problem, behaupten wir. Wir können das und wir sind sogar besser als der Durchschnitt. Dies behaupteten jedenfalls sieben von zehn Studenten im Rahmen eines Versuchs zum Thema Multitasking.

In diesem Versuch ist bestätigt worden: Mehrere Dinge gleichzeitig auszuführen, führt zu keinen guten Ergebnis. Selbsteinschätzung und reale Leistungsfähigkeit driften sogar deutlich auseinander. Personen, die von sich behaupteten, sehr oft verschiedene Dinge gleichzeitig zu machen und dabei gute Leistung zu erbringen, schnitten im Versuch extrem schlecht ab. Die im Versuch zu bewältigenden Aufgaben klingen simpel: Die Testteilnehmenden mussten sich unterschiedliche Buchstaben merken, welche ihnen im Wechsel mit einfachen Rechenaufgaben gezeigt wurden. Zum Beispiel:

Ist 5+3=8?, T, Ist 4-1=2?, c, Ist 2×5=10?, s… etc.

Um eine derartige Aufgabe bewältigen zu können, müssen im Gedächtnis unterschiedliche Informationen schnell und zeitnah nacheinander bereit gehalten werden. Gleichzeitigkeit ist nachweislich unmöglich, Prozesse laufen immer nacheinander ab. Je schneller diese Prozesse ablaufen, desto größer muss die Fähigkeit zur Konzentration sein. Diese spielt die entscheidende Rolle.

Nach dieser Aufgabe mussten die Versuchsteilnehmer*innen einschätzen, wie gut sie beim Bewältigen der Aufgabe abgeschnitten haben. Darüber hinaus interessierte die Wissenschaftler*innen, wie oft die Testpersonen im Alltag Dinge gleichzeitig machen. Schließlich ermittelten die Forschenden bei den Teilnehmenden Persönlichkeitsmerkmale wie das Bedürfnis nach ständiger Abwechslung und Impulsivität.

310 Studierende nahmen am Versuch teil, die Ergebnisse wurden im amerikanischen Fachmagazin „Plos one“ veröffentlicht, alles zum Versuch findest du hier (in engl. Sprache).

Sensation Seaker lechzen nach Multitasking

Wer im Versuch schlecht abschnitt, gab zugleich an, dass er sehr oft verschiedene Dinge gleichzeitig erledigt. Die eifrigsten „Multitasker*innen“ waren äußerst schlecht in der Leistung. Augenscheinlich fiel es diesen Personen sehr schwer, Ablenkungen auszublenden und sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Die Persönlichkeitsstruktur rundet das Ergebnis ab:

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Insbesondere die impulsiven Testteilnehmer*innen mit ausgeprägtem Bedürfnis nach ständiger Abwechslung lieferten sehr schlechte Ergebnisse.

Die deutlich verzerrte Selbsteinschätzung, was die Multitasking-Fähigkeit angeht, kann mit der Persönlichkeitsstruktur in Zusammenhang gebracht werden. (Quelle: „Who multi-tasks and why? Multi-tasking ability, perceived multi-tasking ability, impulsivity and sensation seeking.“ David M. Sanbonmatsu, David L. Strayer, University of Utah)

 

Mach den Multitasking-Check

Du willst wissen, ob  du gut in der Lage bist, mehrere Dinge zeitgleich bewusst wahrzunehmen? Probier es aus! Im folgenden Video hast du die Aufgabe

  • mitzuzählen, wie oft der Ball zugespielt wird
  • auf mehrere ungewöhnliche Ereignisse zu achten

Die zweite Aufgabe gebe ich dir, der Sprecher aus dem Off im Video gibt dir lediglich Aufgabe 1.

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Und? War es? konntest du beide Aufgaben lösen? Wie hat sich das angefühlt? Die meisten Menschen, die sich mit den Aufgaben ausprobieren, erzählen danach:

  • Das war total stressig.
  • Ich war nicht in der Lage, mich auf alles zu konzentrieren.
  • Mein Ergebnis war falsch.

Dieses Erleben ist normal und sehr menschlich!

Multitasking in der Arbeitswelt

Ich weiß noch, wie es damals war, als ich angestellt gearbeitet habe: 10 Sachen gleichzeitig war normal – und wurde quasi auch so gefordert. Immer wieder höre ich es von meinen Patient*innen und Klient*innen, dass sie unter dem Druck, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun im Job, leiden. Das ist schlimm und muss ein Ende haben. Es kann nicht sein, dass in der heutigen Arbeitswelt trotz all der wissenschaftlichen Belege von Mitarbeitern erwartet, dass sie multitaskingfähig sind.

Das ist gelinde gesagt – pardon – Schwachsinn. Denn jedes Management fordert damit direkt Fehler im Arbeitsprozess ein. Und machen wir uns doch nichts vor: Die Arbeitswelt steht vor einem kompletten Wandel. Es wäre wirklich wünschenswert, dass sowohl alle Arbeitgeber*innen als auch alle Arbeitnehmer*innen aktiv die Arbeitsprozesse neu gestalten. Ziel darf es sein, dass Multitasking keine Rolle mehr spielt, sodass Die Qualität der Arbeit steigt und niemand mehr durch unrealistische Forderungen überfordert wird. 

Fazit

Multitasking – vergiss es. Und noch besser: Lass es! Wer fordert diese Kompetenz von dir? Ist es eine übereifrige Führungskraft, die es einfach nicht besser weiß? Oder ist es vielmehr dein eigener innerer Antrieb bzw. die rastlose und überhöhte innere Erwartungshaltung an die eigene Leistungsfähigkeit?

Nicht selten spielen diese inneren Prozesse eine viel größere Rolle als der äußere Leistungsdruck. Und für diese inneren Prozesse ist ausschließlich eine Person verantwortlich: Du selbst.

Multitasking hinter sich lassen durch Achtsamkeit

Falls du sagst, dass das unbedingt anders werden muss und du aus diesem inneren Druck entkommen willst, kann Achtsamkeit dir helfen. Einen achtsameren Umgang mit dir selbst kann du lernen, zum Beispiel in einem meiner Achtsamkeitsworkshops.