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In meinem letzten Bauchgefühl-Posting hatte ich dir gezeigt, wie du mit gemischten Gefühlen umgehen kannst, um ausbalanciert Entscheidungen zu treffen. Hat dir die Übung geholfen? Wenn du den Artikel erneut lesen willst, klicke hier.

Eine Newsletterleserin hat auf das Posting reagiert mit der Frage bzw. Anmerkung: „Mein Bauchgefühl sendet mir bei meinem Entscheidungsthema kein Gefühl. Es schweigt. Nur der Kopf redet und das sehr laut. Aber das ist ja nur die halbe Miete, wie ich in deinem letzten Artikel gelesen habe. Damit kann ich keine ausgewogene Entscheidung treffen. Wie kriege ich mein Bauchgefühl denn dazu, dass es auch was sagt?“

Ich finde diese Frage genial, denn sie trifft genau ins Schwarze. Wir alle kennen es, dass das Bauchgefühl in manch einer Situation stumm ist. Ich will dir erklären, woran das liegt und wie du dein Bauchgefühl doch dazu bringen kannst, ein Gefühl zu senden.

Was wir mit Reptilien gemeinsam haben…

… ist nicht viel. Gott sei Dank! Aber da ist etwas tief in uns angelegt, dass eng mit unseren Bedürfnissen gekoppelt ist. Und das nennt sich laienhaft Reptilienhirn. Es ist der älteste Hirnbereich überhaupt. Und wenn ich von Bedürfnissen spreche, denke ich an überlebenswichtige Bedürfnisse, also nicht daran, ob du nun den Pulli in braun oder blau kaufst…

… oder den Eisbecher mit oder ohne Sahne wählst. Zu den überlebenswichtigen Bedürfnissen zählen der Lebenswille, Hunger, Durst, Wärme, Kälte, Schlaf, Wertschätzung und – glaub es oder nicht – Sex. Zu all den genannten Themen sendet dir dein Reptilienhirn unmittelbar und rasant schnell ein „fühlt sich gut an“ oder „fühlt sich nicht gut an“. Dieses Hirn arbeitet eng mit den Nervenstrukturen in der Darmregion (enterisches Nervensystem) als Teil des autonomen Nervensystems zusammen und steuert auch die beiden Nerven Sympathicus und Parasympathicus, die bei Stress und Entspannung ausschlaggebend sind. Kurz: Bauchgefühl.

Nur ist unsere heutige Zeit glücklicherweise nicht mehr so eindimensional, dass wir uns ausschließlich mit lebenserhaltenden, animalischen Bedürfnissen beschäftigen. Und zugleich fühlt es sich für viele herausfordernd an, wenn wir uns ständig mit Situationen konfrontiert sehen, die eine Entscheidung von uns verlangen. Die Zahl der Möglichkeiten und Handlungsoptionen wächst und wächst. Im Mittelalter war mit der Geburt eines Kindes klar, wie der Lebensweg aussehen wird. Heute stehen uns unendlich viele Wege offen. Das ist gut und bringt eben jene Herausforderungen mit.

Wenn du einen Blick auf diese Vielzahl an Optionen wirfst, wird dir vielleicht bewusst: viele Wege bedeuten, Neuland zu betreten. Du hast keine Ahnung, wie es ist, wie es sich anfühlt, Möglichkeit A, B oder C zu wählen und wie die Folgen ausschauen – in einer Woche, in einem Monat, in 3 Jahren. Weißt du was? Dein Bauchgefühl hat exakt dasselbe Problem.

Dein Bauchgefühl macht permanent einen Abgleich

Nicht nur dein Verstand prüft jede neue Situation auf mögliche bekannte Aspekte, um dir Pro und Contra-Argumente zu liefern. Auch dein Bauchgefühl scannt permanent alle Situation mit der Frage: „Hat mein Mensch das schon mal erlebt?“ Falls ja: Super. Dann hat dein Bauchgefühl auch eine Meinung dazu und schickt dir ein Gefühl.

Falls aber kein Bauchgefühl spürbar ist, dann steht es gerade sehr ratlos in der Ecke und zuckt mit den Schultern. Das passiert, wenn du noch nie in deinem Leben in solch einer Situation gewesen bist, nicht mal ansatzweise.

Dazu zwei Beispiele:

Mein Bauchgefühl sagt mir ganz klar: Bungee jumping – nein, Danke. Und das ist ein sehr klares „Gefällt mir nicht“, obwohl ich noch nie in meinem Leben an einem Gummiband in die Tiefe gehüpft bin. ABER: Ich weiß aus Erfahrung, dass ich Höhe nicht sonderlich mag und dass ich kein Freund von Extremsport bin oder ein besonderes Verlangen nach dem ultimativen Adrenalin-Kick habe – im Gegensatz zu dem Herrn hier links. Und so baut sich mein Bauchgefühl ein klares Signal zusammen in Sachen „Bungee jumping“.

Ein anderes Beispiel:

Stell dir einen Großstadtbewohner vor, der sein ganzes Leben lang in einer großen Metropole, zum Beispiel Berlin, gelebt hat. Im Urlaub hat dieser Mensch immer Cluburlaub, Kreuzfahrten oder Gruppenreisen gebucht. Kurz: Stille und Abgeschiedenheit kennt er nicht wirklich. Und nun kurz vor der Rente kommt dem Partner/ der Partnerin unseres Großstadtmenschen die Idee: „Schatz, lass uns aufs Land ziehen, wenn wir nicht mehr arbeiten. Ich finde Goldelund klingt schön.“ Goldelund ist ein winziges Örtchen in Nordfriesland. Was meinst du, was das Bauchgefühl von unserem Großstadtmenschen dazu sagt. Genau: „…“

Bauchgefühl im Training

Die tolle Nachricht lautet: Du kannst dein Bauchgefühl zur Schule schicken. Und die noch tollere Nachricht lautet: In dieser Schule spielt weder auswendig lernen von Gedichten noch das große 1 x 1 eine Rolle. In der Bauchgefühl-Schule gibt es lediglich ein Unterrichtsthema: Seitensprünge aus dem Alltag.

Tschüss, alte Gewohnheit

Du hast richtig gelesen. Die Aufgabe lautet, aus dem Altbekannten auszubrechen in passender Dosis. Das bedeutet, nicht komplett alles ganz anders zu machen, sondern sich eine Kleinigkeit vorzunehmen, um diese einfach mal anders zu machen. Du fährst zum Beispiel jeden Tag um 7:15 Uhr mit dem Auto zur Arbeit auf dem immer gleichen Weg? Okay, dann fahre regelmäßig einen anderen Weg und probiere unterschiedliche Verkehrsmittel aus. Immer wieder anders, immer wieder neu! Und das weitest du auf andere Gewohnheiten aus. Probier dich aus, um ins Spüren zu kommen.

Dein Bauchgefühl lernt…

… neue Erfahrungen kennen, die es abspeichert. Dies geschieht eben nicht vor dem Hintergrund der Pro- und Contra-Argumente, sondern auf Grundlage eines Gefühls. So erweiterst du immer mehr den Erfahrungs-Pool in dir und dein Bauchgefühl kann in neuen Situationen auf einen wesentlich umfangreicheren Erkenntnis-Fundus zugreifen. Damit steigt die Chance, dass sich in einer neuen Situation tatsächlich ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ zeigt. Denn es muss nicht so sein, dass du exakt die Situation schon einmal erlebt hast, um ein Bauchgefühl zu spüren. Auch ähnliche Situationen können schon helfen – siehe oben: Bungee jumping und Unwohlsein bei Höhe.

Dein Bauchgefühl – ist niemals falsch!

Und wo ich gerade bei diesem Beispiel noch einmal angekommen bin: Du könntest jetzt damit argumentieren, dass mir das eigentliche Erleben des Bungee jumpings fehlt, um wirklich grundlegend das Ganze ablehnen zu können. Das ist richtig. Doch geht es beim Bauchgefühl nicht um ein grundlegendes „Ja“ oder „Nein“, das für immer und ewig gilt. Es ist immer das jeweilige Gefühl eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner bzw. Entwicklung und die ist ja bekanntlich permanent im Prozess. Das könnte bedeutet, dass mein Bauchgefühl aufgrund meiner Weiterentwicklung und meinen zukünftigen Erlebniserfahrungen mir vielleicht ein „Gefällt mir!“ zur Bungee jumping-Idee sendet, wenn ich 75 Jahre alt bin. Unter uns: Allein deshalb lohnt es sich ja schon, hier immer regelmäßig reinzulesen 😉

Meine Einladung, deine Aufgabe

Zurück zum Eigentlichen: Fang an, Experimente im Alltag zu machen. Im Folgenden stelle ich dir eine Liste einfacher Dinge zur Verfügung, die du mal anders ausprobieren kannst.

Nicht alles muss auf dich zutreffen, such dir etwas aus oder entwickele eine eigene Idee und komm ins Machen.

 

Seitensprünge aus dem Alltag

 

  • Du fährst immer auf demselben Weg mit demselben Verkehrsmittel zur Arbeit? Probieren immer wieder einen anderen Weg aus und verschiedene Verkehrsmittel.
  • Du putzt dir immer die Zähne mit derselben Hand? Nimm die andere Hand.
  • Du gehst – als Frau 😉 – nie ungeschminkt aus dem Haus? Geh ungeschminkt unter Leute – egal, ob ins Büro oder zum Einkaufen.
  • Du warst noch nie alleine im Urlaub? Fahr ein Wochenende alleine weg.
  • Melde dich zu einem VHS-Kurs an, dessen Thema dir völlig fremd ist.
  • Du bist ständig online? Halte dich ein Wochenende fern von Smartphone, Tablet und Rechner.
  • Du schaltest abends automatisch das TV-Gerät ein, wenn du daheim bist? Stell es für eine Woche in den Keller.
  • usw.

Du willst dein Bauchgefühl trainieren?

Dann lass uns daran arbeiten. Starten wir doch am besten mit einem unverbindlichen Erstgespräch: