Durch Yoga in Balance finden? Oder ist Yoga lediglich ein akrobatischer Sport? So ähnlich lautete die Frage, als ich vor Kurzem auf Instagram ein Bild gepostet habe (mit Klick auf den Link gelangst du direkt zu meinem Profil). Auf dem Foto ist ein athletischer Mann mit deutlich definierten Muskeln zu sehen. Und er ist in einer Körperhaltung abgebildet, die manch einem das Wort „verknotet“ in den Sinn schießen lässt. Bevor ich das Foto auf Instagram gepostet habe, habe ich eine Ashtanga Yogastunde bei ihm gemacht. Der Mann ist Dr. Ronald Steiner, der seit seiner Kindheit Yoga praktiziert und nicht nur das: Er ist auch Arzt und Sportmediziner. Die Stunde stellte keine akrobatischen Ansprüche, aber ich kaufe es niemandem ab, der sagt, er bzw. sie sei nicht durchgeschwitzt aus der Stunde gegangen.
Das Foto führte dazu, dass eine Followerin meinte, sie hätte unter Yoga etwas anderes verstanden. Und genau das führt auf den Punkt:
- Was ist Yoga eigentlich?
- Bedeutet Yoga wildes, akrobatisches Verknoten?
- Kopfstand, Handstand, Lotussitz – muss ich all das beherrschen?
- Muss ich 3 Stunden am Stück meditieren, vorzugsweise morgens um 4 Uhr?
- Oder ist Yoga das, was ich abends an der VHS mache in ausgeleierter Jogginghose?
- Aber vielleicht ist ja Yoga auch das, was mir meine Krankenkasse bezahlt: Hatha Yoga zur Stressbewältigung.
Also, was ist Yoga denn nun?
Vor vielen Tausend Jahren schrieb Patanjali die Yoga Sutras. Er fasste erstmals alles Gängige rund um Yoga in einem Werk zusammen. Die Yoga Sutras gelten bis heute als Yogaleitfaden. Die Sutras bestehen aus vier Kapiteln und gleich zu Anfang definiert Patanjali Yoga: „Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des meinenden Selbst in eine dynamische Stille übergehen. In diesem Zustand ruht das sehende Selbst in der eigenen Form und kann folglich erkannt werden.“ Und? Alles klar?
Was Patanjali damit sagen will: Wir waren und sind immer Gefangene unserer Wahrnehmung. Unsere jeweilige tagesaktuelle Stimmung, unsere grundsätzliche Haltung und unsere vorgefertigten Meinungen lassen uns bestimmte Ereignisse in einem bestimmten Licht sehen. Wir sehen also in der Regel nur unsere Wirklichkeit. Aber das ist eben nicht die vollumfängliche Wahrheit. Yoga kann uns helfen, den inneren Beobachter zu wecken. Und das ist jetzt keineswegs esoterisch. Die heutige Wissenschaft kommt dieser inneren Instanz immer mehr auf die Schliche. Dieser innere Beobachter kann dahingehend geschult werden, diese eigenen Strömungen des Geistes bewusst zu betrachten. Es kann Abstand entstehen und damit mehr Klarheit. Anders ausgedrückt: Balance entsteht. Oder nenn es alternativ akzeptierende Selbsterkenntnis.
Wie Carl Rogers das sah
Wir haben damit die Chance immer mehr bei uns selbst anzukommen, uns wirklich anzunehmen mit allem, was zu einem gehört. Echtes „bei sich sein“ kann entstehen. Carl Rogers hat sinngemäß gesagt: „Es ist für mich einfacher geworden, mich als einen entschieden unvollkommenen Menschen zu akzeptieren, der keinesfalls zu jeder Zeit so handelt, wie ich handeln möchte. Wenn ich mich so, wie ich bin, akzeptiere, dann ändere ich mich.“ Es geht also nicht dazu, noch mehr nach vorne zu streben, noch mehr zu rennen. Das Gegenteil ist der Fall: einfach mal stoppen, innehalten und akzeptieren – auf der Yogamatte und im Leben. So kehre ich im Idealfall in mein inneres Gleichgewicht zurück.
Häufig richten wir es uns auch gemütlich ein. Wie die Höhlenbewohner in Platon´s berühmten…
Höhlen-Gleichnis:
Wir sehen die Schatten an der Wand und glauben, dies sei DIE Wahrheit. Zu bequem sind wir, als das wir uns einfach mal umdrehen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Vielleicht ahnen wir, dass die Dinge nicht ganz so sind, wie wir vermuten. Doch ist es einfacher den Schatten zu glauben, anstatt einen schmerzhaften Blick auf das zurichten, was die Schatten hervorruft.
Der Regisseur Peter Weir hat in „Die Truman Show“ die Idee des Höhlengleichnisses in unsere moderne Welt übertragen und führt uns einen Menschen vor, der in einer Scheinwelt gefangen ist.
Yoga ist ein Weg, über die Einheit von Körper, Atem und Geist in die eigene Freiheit zu gelangen: Jetzt mach ich ernst und schaue wirklich mal hin: auf meinen Körper beim Üben auf der Matte und auf mein Dasein im Alltag. Es gilt, sich zu spüren, seine Grenzen – Stand jetzt – zu erkennen und mit den Grenzen zu spielen. So entsteht grundlegende Balance. Yoga ist kein gewaltsame Hineinquälen in Positionen, um sich oder wohlmöglich anderen im Außen etwas zu beweisen. Wenn du so denkst, dann bist du auch auf der Yogamatte gnadenlos im Leistungsprinzip der heutigen Gesellschaft verfangen.
Durch Yoga in Balance finden – auch bei körperlichen Herausforderungen
Ich selbst hatte bis vor kurzem die Herausforderung, dass ich mir im vergangenen März eine Art Zerrung im Oberarm zugezogen habe. Wer meine abenteuerlichen Zugreisen zu den Kongressen kennt, weiß, wie die Zerrung zustande kam. Ein befreundeter Arzt hat dem Schmerz-Symptom einen Namen gegeben: „Impingement“. Jetzt haben wir Juli und so langsam ist es endlich merklich besser. Über drei Monate habe ich mit meinem schmerzenden Arm geübt: habe ihm verschiedene Bewegungen und Dehnungen angeboten, um zu schauen, wie er reagiert. Es ist nicht der Verstand, der hier das Regiment führen darf. Der Verstand hat den Job zu beobachten und zu registrieren. Mehr nicht. Über den Atem erlange ich Erkenntnis über Anspannung bzw. Entspannung.
Yoga bedeutet, sich in der Bewegung zu erkennen und zu erfahren. Spielerisch die Möglichkeiten des Körpers zu erkunden, und zwar nicht nur auf der Yogamatte, sondern auch mitten im Leben, im Alltag, in allen Situationen. Und immer wieder: ins Akzeptieren kommen.
Yoga = Einheit = Balance!
Immer die achtsame Kombination von Bewegung, gleichmäßigem Atemfluss und einem auf den Moment zentrierten Geist, der nicht bei der Einkaufsliste oder beim Konflikt mit dem Chef ist – das ist Yoga. Yoga lässt dich bei dir ankommen, die Übungen sollten zu dir und deinem Körperzustand passen.
Und wenn du einen trainierten Körper wie Ron Steiner hast und dich sehr gern bewegst, dann ist es völlig normal, dass es diesem Körper Spaß macht, sich in Haltungen zu begeben, die manch anderer, der sich maximal einmal wöchentlich mit großer Unlust ins Fitness-Studio schleppt, als irrwitzig abtut. Dein Körper kann meist mehr, als du glaubst. Aber die alles entscheidende Frage lautet: Was lässt du zu – weil es dir Freude bereitet?
Und so kann auch eine akrobatisch anmutende Körperhaltung am Ende tatsächlich Yoga sein und eine innere Balance fördern. Sie ist es dann, wenn der Übende ganz bei sich ist und die oben schon beschriebene Einheit von Körper, Geist und Atem spürt, um sich in der Position zu erfahren. Diesem Übenden ist es egal, was ein anderer denkt. Es geht auch nicht um den äußeren Vergleich im Sinne es „Ich muss das genauso können.“ oder „Das kann niemals so wie er.“ Es geht immer um den ganz eigenen Entwicklungsprozess und in diesem bist du auf deine ureigene Weise perfekt.
Balance durch Yoga bedarf nicht unbedingt einer Yogamatte
Erkennst du den Prozess und die Ganzheitlichkeit, machst du Yoga – egal, ob du am Arbeitsplatz handelst, joggst oder auf deiner Yogamatte übst.
Du brauchst dafür nicht zwangsläufig den herabschauenden Hund, die Kobra oder die Haltung des Kindes und schon gar nicht benötigst du die Haltungen mit ihrem Ursprungsnamen auf Sanskrit.
Wenn du jetzt liest, dass „adho mukha svanasana“ übersetzt „herabschauender Hund“ heißt, dann kannst du das mit Sicherheit jetzt sofort nicht aussprechen und spätestens übermorgen hast du es eh wieder vergessen.
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